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Komm, lass uns Sisyphus befreien

Immer mehr Menschen werden durch ihr materialistisches Weltbild zu Gefangenen ihrer eigenen Arbeit, was sich immer häufiger in der Volkskrankheit Burn-out niederschlägt. Wie wir uns durch den lösenden Geist des Yoga aus der Gefangenschaft der Sisyphusarbeit befreien, und uns durch reine Hingabe vom „Homo busy“ zum „Homo bussi“ wandeln können.

Ich sah den, den man „Sisyphus“ nennt, in gewaltigen Schmerzen – zitternd und keuchend –, wie er mit beiden Armen einen riesigen Felsbrocken fortschaffen wollte. Und mit Händen und Füßen stemmend, stieß er den Brocken hinauf auf einen Berg. Doch immer dann, wenn er ihn über die Kuppe werfen wollte, drehte ihn das Übergewicht zurück: Und von Neuem rollte der Felsblock, der schamlose, wieder ins Tal hinunter. Er aber, der Unglückselige, lief ihm hinterher und stieß ihn immer wieder zurück, nach oben, zur Bergkuppe hin, wie von Zauberhand gelenkt, sich anspannend, fast der Ohnmacht nahe. Und es rannen der Schweiß und das Blut ihm von den ausgezehrten Gliedern, und der Staub erhob sich über sein Haupt hinaus, dass sogar das Licht der Sonne verdunkelt wurde.

Dieses dramatische Schaubild von Sisyphus, den viele Menschen vom Begriff der „Sisyphusarbeit“ kennen, ist uns vom griechischen Dichter Homer überliefert. Mit „Sisyphusarbeit“ ist eine Arbeit gemeint, die in einer endlosen Schleife der Sinnlosigkeit gefangen ist. Der Arbeitende ist in einem unermüdlich trostlos mahlenden Mahlwerk an den gnadenlosen Rhythmus seiner Tätigkeit gekettet. Einen Anfang und ein Ende scheint es nicht zu geben. Sinn, Entwicklung und Ziel der Arbeit bleiben am Horizont der Hoffnung verborgen. Eine solche Tätigkeit verzehrt die Kräfte des Menschen, statt ihn zu nähren. Unser Zeitgeist hat seinen eigenen Begriff dafür gefunden: „Burn-out“.

Ich spreche übrigens den Sisyphus in dir und mir an. Und den Sisyphus all derer, die im Hamsterrad ihrer Sisyphusarbeit gefangen sind in ihren Unternehmen, in ihren Konzernen oder bei der Verrichtung ihrer täglichen Arbeit.

Sisyphus: König, Herrscher und Archetyp
Der Sisyphus war einst, bevor er vom Schicksal zu seinem leidvollen Arbeitsdienst verdammt wurde, ein großer König und Herrscher. Die Mythologie weiß von einem mächtigen Wesen zu erzählen, das fast die ganze Welt beherrschte. Er wandelte zu einer Zeit und einer Menschheit auf Erden, lange bevor es die Griechen gab, die uns seine Geschichte überliefert haben. Seine Geburtsstunde lag auch lange vor den Persern, Ägyptern oder Indern. Der Sisyphus ist eine uralte Gestalt aus der atlantischen Menschheitsepoche, noch vor der großen Flut.

Er galt damals als einer der Schlauesten unter den Menschen. Von Gott und seinen Göttern hielt er nicht viel. Er war sozusagen Atheist und glaubte nur an das, was er durch seine Sinne wahrnehmen, was er anfassen und worauf er stehen konnte – das Materielle eben. Und natürlich vor allem an die Schlauheit seines Verstandes, mithilfe dessen er sich die Welt zu seinem Vorteil schuf.

Dieser Charakter prägte auch klangsprachlich den Namen „Sisyphus“: Lässt man sich diesen Klang einmal wie Butter auf der Zunge zergehen, dann möchte da ein „Sieh-syh-phus“ herausgeschmeckt werden. Also ein Prinzip, das nur das „sieht“, worauf es „phust“ bzw. „fußt“: das Materielle eben, oder die dichte Erdenwelt, worauf die „Physe“ oder „Füße“ als verbindende Glieder stehen. Sisyphus ist daher das Prinzip in uns Menschen, das uns nur die „Physe“, das „Physische“, die materielle, dichte Weltennatur sehen und wahrnehmen lässt.

Das Auftreten des „Archetypus Sisyphus“ markiert eine bemerkenswerte Stufe und Epoche in der gesamten Menschheitsentwicklung, in der der menschliche Verstandeskörper zum ersten Mal eine besondere Betonung erfuhr: Der Mensch stieg damals aus seinem bisherigen intuitiven – ja geradezu magisch übersinnlichen – Bilddenken, Empfinden und Erleben in die Schluchten des „Men-tals“, und noch tiefer, in die engen bzw. dichteren Täler des Verstandesdenkens und der rationalen Logik hinab. Er wurde dadurch fester, materieller, physischer – zum „Si-sy-phus“ eben.

Dies ist ein Wesensmerkmal, das gegen Ende der atlantischen Menschheitsepoche erstmals verstärkt im Menschen zur Ausprägung kommt und nur zu offensichtlich eine düstere Schattenseite mit sich bringt, wie es uns der Mythos um die leidvolle Geschichte des Sisyphus warnend erzählt. Aber wie kommt es zu dieser Schattenbildung?

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