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Etwas Sinnvolles tun im Leben. Demselben einen Sinn geben. Sich auf Sinnsuche zu begeben und die Frage nach dem Sinn des Lebens zu stellen, sind wesentliche Teile der yogischen Selbsterforschung. Etwas Seinvolles tun im Leben. Demselben ein Sein geben. Sich auf Seinsuche zu begeben und die Frage nach dem Sein des Lebens zu stellen: Auch dies sind wesentliche Teile der yogischen Selbsterforschung. In der Sprache unserer Vorfahren unterschied man „Sinn“ und „Sein“ noch nicht. Es lebten beide friedlich in einem Stamm vereint, den sie sin nannten. Erst viel später kam es zur Verzweigung. Dann wuchs aus dem Zweig des Seins noch eine dritte Kraft heran: Es entstand das „Mein“. Mit sin oder Sinn ist das „sinn-lich“ durch unsere Sinne erfahrbare Sein angesprochen. Dieses wird jedoch in seiner ursprünglichen Qualität und archaischen Kraft durch das Mein „ge-mind-ert“. Dieser „Mind-erer“ ist uns im Englischen auch als „mind“, als Verstand, wohlbekannt.

Spirituell empfunden, kann uns das Sein niemals gehören, und wir werden es auch niemals besitzen können, denn es ist ja „Sein-s“. Und dennoch werden wir materiell immer wieder dazu verführt, „meins“ zu sagen. So erschafft unser Mind sein „Minen-geschäft“ und wird durch seine besitzergreifende Art zum Aushöhler, zum Ausbeuter von Sein und Sinn des Lebens. Im Mein identifizieren wir uns so sehr mit dem Sein, dass wir den Zischlaut der kosmischen Schlange – der das Sein erschaffenden Schöpferkraft der Shakti – nicht mehr wahrnehmen können. Ssssssssssssssssch … Denn das Sein offenbart durch eben diesen Zischlaut seinen „Sch-ein“.

Etwas Scheinvolles tun im Leben. Demselben einen Schein geben. Sich auf Scheinsuche zu begeben und die Frage nach dem Schein des Lebens zu stellen, auch dies sind wesentliche Teile der yogischen Selbsterforschung.

Was aber bleibt, wenn die zischenden, lauten Kräfte des „Sch-eins“ verebben? Wenn durch Pratyahara, den Rückzug der Sinne, und durch Meditation die Spektakel von Sinn und Sein verblassen? Wenn die fünf Tentakel unserer Sinne ihre hypnotische Kraft verlieren? Und wir plötzlich und unvermittelt in der Stille den samadhischen Grenzweg berühren? Vor uns die samtene Schwärze eines stillen Niemandslandes. Dazwischen der Todesstreifen, der das im Sein gegründete Ich zum Sterben einlädt. Hinter uns der aus Sinn und Sinnvollem gebraute Schöpfungsraum, der erst jetzt, vor dem Hintergrund der sanften und samtenen Schwärze des Nicht-Seins, seinen ganzen Schein offenbart. Jetzt nur noch ein winziger Schritt, und du zerreißt den großen „Braut-schleier“ und lässt in mystischer Vermählung die „Sinn-flut“ der Schöpfung hinter dir. Jetzt bist du „vor-sinn-flutlich“, wirst zum „Vor-sinn-flutlicht“ des Brahman, das „all-ein“ und einzig ist.

Hier, so ganz vor den Sinnen und dem sinnlichen Sein, offenbart sich uns das reine Gewahrsein. Jetzt sind wir ganz Gegenwart – „Prä-sens“ –, also vor und ohne sinnstiftende Gedankengefühle (lat. sensa), reiner „Un-sinn“ sozusagen, aber ohne einen, der solchem eine Wertung geben könnte.

Etwas Unsinnvolles tun im Leben. Demselben einen Unsinn geben. Sich auf Unsinnsuche zu begeben und die Frage nach dem Unsinn des Lebens zu stellen, auch dies sind wesentliche Teile der yogischen Selbsterforschung. So durchlebt der Yogi seinen Dadaismus, seinen „Nonsens“, wird selbst zum Dadaisten, zum heiligen Narren, der den Unsinn in all dem Sinnvollen und Sinnesbeladenen des scheinbaren Weltenraumes entblößt. So offenbart sich „Da-da“, die heilige Gegenwart, in ihm und durch ihn.

Wie sagen sie bei uns in Bayern so voller Stolz: „Mia san mia.“ Und wie entgegnet ihnen der yogische Dadaist voller Nonsens: „Mia sam adhi“. Adhi ist ein Sanskritwort und bedeutet soviel wie „darüber hinaus“, oder „jenseits“ im Sinne der Nondualität. „Sam-adhi“ will also sagen: Wir sind in Wirklichkeit Nondualität – Brahman, weil es in Wahrheit nur das ewige Brahman gibt.

Das Feld des Yoga ist vor allem im Westen aufgeladen, ja geradezu überladen, mit sinnstiftenden Maßnahmen. Einige davon sind gütlich. Viele schießen jedoch so sehr über das Ziel hinaus, dass der Sinn zur „sin“ – zur „Sünde“ – mutiert. „Sünde“ bedeutet spirituell empfunden ganz einfach und wertfrei eine „Ab-sünder-ung“ bzw. eine „Ab-sonder-ung“, sprich eine Abspaltung vom stillen Wonnemeer des Samadhi.

Deshalb reinigen und verfeinern wir im Yoga unsere Sinneshülle, befrieden und stillen unsere unablässig sinnierenden Gedanken. In tiefer Meditation hängen wir diese Hülle als „K-leid“, das uns zuweilen so viel „Leid“ und Schmerz gebracht hat, vom Waschmittel des Yoga gereinigt und weichgespült zum Trocknen an der kosmischen Wäscheleine auf, mit der wir wie mit einer Nabelschnur verbunden sind. Jetzt bitten wir den Wind, das himmlische Kind, hinzu. Im Blasen der Winde, der heiligen Vayus, verblassen und verdunsten die letzten Eindrücke an Sinn und Sein. Auch die Wäscheklammern des Verstandes verlieren ihre Kraft und geben schließlich unser Gewand vom Winde verweht frei.

Doch wer bleibt so ohne Gewand zurück, dort im Stillen, wo jetzt kein Wind mehr weht?

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