Würdest du mir zustimmen, dass du als Person ein Schwindler bist? Du weißt, dass du als Person eines Tages wieder verschwinden wirst. Du weißt, dass du als Person stetigen Wandlungen und Veränderungen unterworfen bist, dass du dich also stetig windelst und wandelst. Du weißt, dass dir oftmals ganz und gar schwindelig zumute ist, im Banne all der Hochs und Tiefs deiner Achterbahnfahrten und all der immer wiederkehrenden Kreisläufe und Karussellfahrten in deinem Lebensvolksfest. Im Schwinden hast du Angst vor dem Tod. Im Wandeln hast du Angst vor Veränderung. Und im Schwindelgefühl hast du Angst, den Halt zu verlieren und zu fallen. Wenn es dir als Person so ergeht, dann nimm es ruhig persönlich. Mir geht es nämlich genauso. Denn wir leben allesamt in einer „Schwindelwelt“.
„Person“ ist ein aus dem Lateinischen stammendes Wort, das mit „persona“ die „Rolle“ oder „Maske“ in unserem menschlichen Dasein anspricht, vermittels derer das Lebe- und Liebewesen Gottes in uns durch die besagte Schwindelwelt zu wandeln vermag. In Indien sagen sie zu dieser Welt einfach „Maya“ und meinen damit ungefähr so etwas wie die illusionäre, traumartige Architektur, die den gesamten erschaffenen – und daher auch vergänglichen – Welten zu eigen ist. Maya bedeutet also all das, was nicht ewig ist. Schwindelwelt ist nur ein alter deutschsprachiger Begriff dafür.
Schwindeln ist zwar mit Lügen verwandt, aber vom Gefühl her nicht ganz so hart. Schwindeln ist mehr so wie ein Spiel, das Kinder spielen. Wie in etwa ein Rollenspiel. Oder ein Maskenspiel im Theater. Oder ein Traumspiel. Verliert man in diesem Schwindelspiel die Leichtigkeit der Freude, spielt man es also besonders ernsthaft und identifiziert, und vergisst dabei, dass es doch nur ein Spiel ist, kann man leicht an so etwas wie einer „Schwind-Sucht“ erkranken. „Sucht“ deshalb, weil ein Großteil unserer Hoffnungen, Erwartungen und Vorstellungen ihre Erfüllung in Vergänglichem „suchen“. Dabei werden zwanghaft immer wieder enorme Ströme unserer Lebenskraft auf Vergängliches, auf Schwindendes projiziert – nur um dort nach einiger Zeit wieder spurlos zu verschwinden. Was, wenn wir stattdessen unsere Lebenskraft auf das richten würden, was nicht schwindend, sondern was ewig ist?
Aber wie kommt es überhaupt zu der Rollen- bzw. Maskenbildung der Person, von der wir annehmen, dass wir sie sind? Wer ist überhaupt der Maskenbildner, wer der Regisseur, der uns in seinem Drama für eine Rolle ausgewählt hat? Und wer ist der Autor des Dramas? Oder sollte ich besser sagen: des Traumes? Wer träumt uns also in diese Rolle hinein, die wir in dieser Welt bekleiden? Wer hat sich in uns hineingerollt und sich zu einer Rolle, zu einer Persona in uns aufgerollt?
„Kundala“ sagen sie im Sanskrit zu dem Prinzip des Aufrollens. Es ist also die den Yogis so vertraute Kraft der Kundalini-Shakti, der Schöpferkraft, die auch „Schlangenkraft“ oder „Schlange des Lichts“ geheißen wird. Sie verbirgt sich hinter dem großen, rollenbildenden Prinzip der Schöpfung. Ihr Wesen ist von purer, göttlicher Licht- und Klangschwingung und ganz und gar weiblicher, geweblicher Natur. Sie bringt die Welten hervor durch Licht, Klang und Wort. Sie schöpft und erbaut und erschafft damit auch unsere, deine und meine, Menschenrolle. Ist ihre Schöpfung einmal vollbracht, legt sie sich träumend ganz unten an der Wurzel unserer Wirbelsäule zum Schlafen hin. Dabei rollt und windet sie sich genüsslich ein, so wie es eben ihrer Schlangennatur entspricht. Auf diese Weise erträumt sich der große, ewige Träumer durch seine heilige Shakti seine Traumwelten – seine Schwindelwelten. Shakti ist also der Stoff, aus dem die Träume sind. Shakti ist der Stoff, aus dem deine und meine Person gewoben sind. „Per-son“ bedeutet hier: „durch son“, was „durch Ton bzw. Klang“ heißt, aber auch „durch (Sonn)-Licht“.
Dieses shaktische Klanglicht offenbart sich dem Yogi als gigantische Energie, wenn er als Rolleninhaber plötzlich erwachend erkennt, dass er nur eine Rolle, eine Traumrolle spielt. Wenn ihm die yogische Verschmelzung mit dem großen, ewigen Träumer und Autoren gelingt, der wir als Gott in unserem inneren Lebe- und Liebewesen selbst sind.
Als Kundalini oder „Kund-al“ schlummert eine Kraft in uns, die Kunde von allem hat, die all-kundig ist. Die alles, das All, Allah, das Ganze kennt. Die Gott kennt und die von Gott kündet, wenn sie erwacht.
Bei diesem Erwachen wohnen wir in unserer Traumrolle zwar immer noch dem Glücksspiel des Welten-Roulettes im kosmischen Kasino bei, Farbe oder Zahl entscheiden aber nicht mehr über Glück und Unglück, über Hoch und Tief in unserem Leben. Denn es ist uns bewusst geworden, dass wir selbst der Träumer der Farben und Zahlen sind, die uns das Kügelchen am Schicksalsrad des Roulettes liefert. Und spürst du beim Träumen den Herzschlag Gottes in dir, so weißt du, dass es ein guter Traum ist.