Die Welt, wie wir sie kennen, befindet sich in fortschreitender Auflösung. Wir sollten uns aber deshalb nicht sorgen, denn das Wesentliche kann niemals untergehen. Der in den Yoga initiierte Mensch weiß, dass die Welt der Erscheinungen nicht ewig ist, sondern lediglich eine von Gedanken projizierte Simulation, ein Schöpfungstraum, der das Wirkliche und Ewige (Brahman) überlagert. Der Veda sagt dazu Maya: Etwas entsteht, wächst und vergeht wieder, um Platz für einen neuen Schöpfungstraum zu schaffen. Dies ist das samsarische Rad von Werden und Vergehen.
Wer einen karmisch notwendig gewordenen Wandel, egal mit welchen Attributen er versehen ist, aufhalten will, leugnet nicht nur den Wandel, sondern läuft unweigerlich Gefahr, vom karmischen Mahlstrom des Samsara auf konfliktträchtige Weise erfasst zu werden. Viele Menschen stemmen sich aus Angst vor Verlusten mit aller Kraft gegen den Wandel. Gewohnte, Sicherheit bietende Haltegriffe werden noch rasch einbetoniert, was nicht selten einen Realitätsverlust von psychotischem Ausmaß zur Folge hat. Man kann dies in unserer Zeit gut am vermehrten Aufkeimen von starren Ideologien und totalitären, absolutistischen Haltungen erkennen. Zwei Absolutheiten können jedoch nie zueinander finden und müssen immer voneinander getrennt bleiben. Ihre einzige (Nicht-)Beziehung besteht aus einem radikalen Bekämpfen, Bekriegen und Negieren des anderen, was schlussendlich in einem totalen Krieg endet.
Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die Geschwindigkeit und die Kräfte des Wandels in den nächsten Monaten und Jahren massiv zunehmen werden. Mit der Transformation geht, wie so oft, eine grundlegende Katharsis einher. Alte, überkommene Menschheitskonstrukte und Paradigmen werden wie baufällige Gebäude abgerissen werden. Ihre toxischen Altlasten müssen angeschaut, verdaut und im Ausgussbecken der Geschichte entsorgt werden. Falsche Ordnungen werden sich auflösen. Mit „falschen Ordnungen“ meine ich Ordnungen, die sich vom universellen Gesetz des Dharma durch Ichsucht, Korruption, Machtgier, Täuschung, Lüge und metaphysische Unwissenheit (Avidya) so weit entfernt haben, dass sie adharmisch, also destruktiv geworden sind. Der Dharma ist das höchste Bewusstsein, das die gesamte Schöpfung in einem harmonischen Gleichgewicht hält.
Im alten Indien oblag der Schutz des Dharma der Kaste der Kshatriya, der Kriegerkaste, die gleichzeitig mit den Aufgaben der Verwaltung, der Rechtsprechung und der politischen Führung der Reiche und Staaten betraut war. Krieger waren sie deshalb, weil ihre prinzipielle Aufgabe darin bestand, in allen Bereichen des Lebens über die Einhaltung der universellen Schöpfungsgesetze (Dharma) zu wachen, und diese notfalls vor Angriffen zu beschützen. Heutzutage findet man in den oben genannten Bereichen echte Kshatriya nur noch selten. Sie wurden von den Vaishya verdrängt. Diese gehören der Kaste der Kaufleute und Geschäftemacher an, die von ihrem Naturell her empfänglicher für „Geschenke“ aller Art sind, die den eigenen materiellen Wohlstand mehren, was sie gegenüber lobbyistischer Einflussnahme immunschwach bzw. korrumpierbar macht.
Mit der Abwendung vom Dharma und dem Verlust inneren Gleichgewichts geht eine grundlegende Schwächung der Immunkräfte im Menschen einher. In der vedischen Überlieferung sind Brahman, das Absolute, und der Dharma eins. Brahman ist das Grundprinzip der Immunität. Denn keine Bewegung aus der Welt des Werdens kann das ewige, in sich selbst ruhende Brahman jemals berühren.
Das Thema Immunkraft/Immunschwäche ist durch Corona und seine Folgen ins Bewusstsein vieler Menschen gehoben worden und wird uns wahrscheinlich noch lange Zeit beschäftigen. Dies geschieht sowohl auf der körperlichen als auch auf der geistig-seelischen Ebene. In diesem Kontext darf sich der einzelne Mensch vermehrt mit seiner Individualität, seiner „Unteilbarkeit“ (von lat. Individuus = ungeteilt), sprich „Ganzheit“, auseinandersetzen. Dieser Prozess vermag einen Bewusstseinsstrom zu öffnen, in dem der Mensch sich wieder an seinen Ursprung erinneren kann, an sein „Original“, und er sich in seiner Eigenart als ein nicht korrumpierbares, göttliches Wesen – als „Immun“ – erlebt. Aus dieser inneren Immunstärke heraus können sich wiederum Entwicklungen ergeben, die immer mehr Menschen, aber auch ganze Staaten und Kontinente aus den bisherigen hierarchischen Abhängigkeiten und Fremdbestimmungen herauslösen und ganz neue, authentischere Identitäten erschaffen. Dies würde der gesamten Menschheit eine neue Begegnungsebene eröffnen, welche vermehrt auf Augenhöhe und multipolarer, dezentraler Selbstbestimmung gegründet ist. Aus meiner Sicht erhalten wir derzeit von den kosmisch-göttlichen Wirkkräften die initiatische Einladung, uns mehr aus dem Gruppenseelen-Dasein eines blinden, von wenigen Leitbullen zentralistisch gelenkten Kollektivismus abzulösen, und uns stärker in der befreienden Autarkie des Individualseelen-Daseins zu gründen. Der Entwicklungsweg der Seele (Jivatman) durch das Menschsein führt immer von der Uniform der Gruppen-Seele über die Form der Individual-Seele zur formlosen All-Seele der Brahman-Identität.
Die Identität mit dem Brahman/Immun erfährt auch Moses, als er auf dem Berg Sinai von JHWH (Jahwe) den Dharma der zehn Gebote empfängt. All den Zweiflern und Skeptikern, die den geistigen Berg Sinai nicht erklimmen, um sich dort mosaisch in den Rhythmus des göttlichen Herzschlags einzuschwingen, bleibt nichts als der ermüdende Tanz ums goldene Kalb, bei dem es sich um einen künstlich gefertigten, und letztlich kraftlosen, „weltlichen Immun“ handelt. Im heiligen Zorn darüber zerschmettert Moses die Gesetzestafeln des Dharma und lässt das goldene Kalb einstampfen. In der Folgezeit des Adharma kommen viele Leiden und Konflikte über die Menschen, die dadurch mit ihren karmischen Früchten konfrontiert werden. Bis sich das Moses-Prinzip erneut zum geistigen Berg Sinai erhebt, um dort am Gipfel, vom Sinusknotenpunkt des göttlichen Herzens (Hrdaya) elektrisiert, den Rhythmus des göttlichen Herzschlags zu empfangen, und mit dem göttlichen Geist wieder in Einklang zu schwingen.